Friedensgedichte

Ein neuer Band politischer Lyrik von Rudolph Bauer
Hartmut Drewes in RotFuchs / Mai 2021
http://www.rotfuchs.net/

Mit dem Namen Rudolph Bauer verbindet sich inzwischen eng der Begriff „politische Lyrik“. Schon mehrere Bände dieser Art hat er herausgebracht. Mit dem Titel seines neuen Bandes „Zur Unzeit gegeigt“ nimmt er Bezug auf den in Vergessenheit geratenen Maler, Dichter und Schauspieler Otto Nebel (1892–1973), der wegen seines Antimilitarismus 1933 Deutschland verlassen mußte und in die Schweiz floh. Zugleich macht Bauer durch Zitate den Leser mit Johann Gottfried Herders Schrift „Über die Würkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeiten“ bekannt. Dessen Gedanken von 1778 wirken auch heute noch aktuell, so zum Beispiel der Satz „Aus der Mündung der Kanonen flammen keine poetischen Taten.“ In der Tradition dieser beiden Literaten entwickelt Bauer seine eigene anklagende und fordernde Lyrik. Inhaltlich bildet die Sache des Friedens den roten Faden dieses Bandes. Von den 35 Gedichten sind deutlich 25 dem Friedensthema zuzuordnen, oft gepaart mit antikapitalistischer Kritik. Er geht immer wieder neu an das Thema heran. Er zeichnet den Kampf zwischen Krieg und Frieden, zwischen militärischem und pazifistischem Denken, wobei er oft auf die Geschichte zurückgreift, von Antike und Mittelalter an bis in die jüngste Gegenwart hinein. Zum Teil nennt er Stationslinien kriegerischer Ereignissee, zum Teil beschreibt er narrativ einzelne Geschehen wie den Kapp-Putsch von 1920. Er führt damit viele Fakten „unserer“ Geschichte (Deutschland, Europa) aus der Geschichtsvergessenheit heraus. Die Totentanz-Ode „Das Erbe“ beschreibt in expressionistischer Sprache das blutige Schlachtengeschehen mit Worten wie: „schlachtbank wunden offene grabeslöcher / aus den schädeln löffeln dämonen eiter / aus den pfützen schlürfen sie kot wie nektar / greise erschlagen“. Der Schluß dieser Ode führt in die Gegenwart: „neue kriege cyber war tod durch drohnen / rüstungsgüter waffenexporte schmuggel / unter panzerketten zermalmt die lehren / aus der geschichte.“ Drei Gedichte befassen sich mit den Friedensdemonstrationen gegen das große „Defender“- Manöver der USA und anderer Staaten, das im Februar 2020 begann, aber wegen der Corona-Pandemie gestoppt wurde und jetzt wieder läuft.

Mehrere Friedensgedichte sind pazifistisch orientierten Personen gewidmet, so seinem verstorbenen Freund Lothar Bührmann in dem bewegenden „Abschied“, den Dichtern Paul Celan, Hans Henny Jahnn, Otto Nebel und Harold Pinter sowie dem Germanisten und Philosophen Thomas Metscher. Eine weitere Hommage („Blutrot. Mitte der sechziger Jahre“) gilt der 68er-Bewegung. Im vorletzten Vers heißt es: „noch in der gegenwart glimmt sie / die hoffnung die glut heiß unter der asche / die uns damals erhitzte / das blutlicht der morgenröte richtung / neue zeit.“ Neben dem Friedensthema kommen andere Themen zu Wort, so die Bewegung „Fridays for Future“, die Flüchtlingsexistenz, der Kampf der „Gelbwesten“ in Frankreich, gesellschaftliche Auswirkungen im Kapitalismus (u.a. in „Feierabend“, „Leistungsgesellschaft“, „Aufstehen“, „Rassismus 2.0“, „Charaktermaske“).

Eine ganze Reihe der Gedichte bringt nicht nur z. T. sturzbachartig Aneinanderreihungen erschreckender Ereignisse („dröhnt die mörderische kriegmaschine“), sondern endet mit ermutigenden Zeilen, so z. B.: „den kolossalen widrigkeiten / zum trotz sind unbeirrbar wir jedoch…/ wieder herzustellen die würde / des menschen.“ Ja, ein Gedicht trägt den Titel „Nachricht von der Nähe des Paradieses“, in dem es heißt: „wenn das kriegsgeschwür geheilt ist / wird die welt ein ort der menschen… / ein planet des singens tanzens / schaffens liebens und des friedens …“.

Überhaupt beginnt der Band mit dem einladenden, lieblichen Gedicht zur Göttin des Friedens Eirene „mit den duftleuchtenden / knospen der flora / im frühling des friedens“. Mitten im Band wie eine kleine Oase in der Kriegswüste steht das kurze Liebesgedicht „Quittenmund“: „laubblättriger honigapfel / härchen im Nacken // deine früchte gleich / köstlichen birnen // das quittengelee deiner lippen / geerntet im spätherbst // dein gelber mund“. Und das Buch endet mit den Zeilen: „… und das / allergrößte ziel die utopie die träume // die leuchten // für die wir ketten sprengen für die wir / grenzen überwinden und der gebirge / gletscherschluchten überklettern / zersprengend // unsere ketten // verachtend was gewesen // was / einmal war“.

Mit mehreren Bildmontagen ergänzt Bauer die Aussagen der Lyrik und regt durch sie zu weiteren Überlegungen an.

Insgesamt benennt Rudolph Bauer in dieser Lyriksammlung deutlich die großen, brennenden Probleme unserer Zeit, aber er läßt den Leser nicht in diesem Sumpf versinken, sondern regt zu Widerstand, Hoffnung und Utopie an.

Rudolph Bauer: „Zur Unzeit, gegeigt. Politische Lyrik und Bildmontagen“, tredition Hamburg, 160 Seiten, 16 Euro