„Rüste – Wüste“

Fotocollagen von Rudolph Bauer

Von Reiner Diederich in BIG Business Crime 4-2016 

Am 26.9.2016 wurde im Frankfurter Club Voltaire unter dem Titel „Wir leben mitten im Krieg“ eine Ausstellung militarismuskritischer Collagen von Rudolph Bauer eröffnet. Im Folgenden dokumentieren wir die Rede zur Eröffnung, die nach einigen allgemeinen Anmerkungen über die Methode der Fotomontage und der Fotocollage auf die ausgestellten Montagebilder Rudolph Bauers einging. Rudolph Bauer war bis 2002 Hochschullehrer an der Universität Bremen. Als Politik- und Sozialwissenschaftler hat er sich auch in seinen Veröffentlichungen mit der „Militarisierung im Digitalen Zeitalter“ auseinandergesetzt. Im nächsten Heft werden wir einen Beitrag von ihm zu diesem Thema bringen. 

Die Fotomontage entstand wie die ihr verschwisterte Fotocollage nach dem Ersten Weltkrieg aus der Erfahrung heraus, dass die „alte Welt“ in Trümmern lag und die traditionellen Formen, Kunst zu machen, nicht mehr angemessen erschienen. Der Dadaismus als Reaktion darauf brachte die Montage als neue Kunstform hervor. Hannah Höch und andere entwickelten die Fotocollage als mehr oder weniger assoziationsoffene Zusammenstellung von Foto- und Textfragmenten. John Heartfield und andere entwickelten die Fotomontage, die oft auf den ersten Blick selbst wie ein Foto wirkt und immer eine gezielte Botschaft vermitteln will.

Die Geschichte der Fotomontage in der Nachfolge Heartfields war seither eng mit sozialen Bewegungen verbunden – den alten wie den neuen. Nach 1968 erlebte die politische Fotomontage in der Bundesrepublik noch einmal eine Blüte. Zu nennen sind hier vor allem Jürgen Holtfreter, Ernst Volland und Klaus Staeck. Mit dem Schwächerwerden linker Bewegungen verloren auch deren Arbeiten an Resonanz.

Als bildnerische Methode, um bestimmte Effekte zu erzielen, ist die Fotomontage heute allgegenwärtig – in der Werbung, in der Presse, im Fernsehen, im Internet, in dem, was man „soziale Medien“ nennt. Mit den Mitteln digitaler Bildbearbeitung scheint inzwischen alles möglich zu sein. Durch das nahtlose Zusammenfügen von disparaten fotografischen Elementen werden überraschende Wirkungen erreicht und Phantasiebilder erzeugt. Früher musste dafür noch ausgeschnitten und geklebt oder im Fotonegativ überblendet werden. Die Schnittkanten wurden retuschiert, wenn die Montage wie ein Originalfoto wirken sollte, was den visuellen Schock für die Betrachter verstärkte, der sie zu einer Erkenntnis führen sollte.

Heute bewirken die allgegenwärtigen Montagen nur noch schwache Schocks oder überhaupt keine mehr. Alles kann Fantasy sein, Schein oder Design, virtuelle Realität oder der tägliche Alptraum, an den man schon gewöhnt ist. Im Tatort „HAL“ vom 28. August dieses Jahres, der von einem sich potentiell verselbständigenden Computerprogramm handelte, sagte einer der Ermittler zum anderen: „Wir haben es nicht mehr nur mit einer Welt zu tun, sondern mit zweien.“ Wie bringt man die wieder zusammen?

Die Frage nach der Wirklichkeit oder gar nach der Wahrheit erscheint da obsolet. Allenfalls das Foto-Dokument oder das Dokumentarfoto wirken noch handfest und „echt“, obwohl Brecht schon in den 1920er Jahren festgestellt hat, dass „weniger denn je“ ein Foto der Krupp- Werke etwas über sie aussagt – über die Realität der Produktionsprozesse und der Ausbeutungsverhältnisse in ihnen oder die Besitzerschaft an ihnen. Es sei deshalb „etwas aufzubauen“, etwas „Künstliches, Gestelltes“, es sei eben Kunst notwendig, um durch den Schein des Authentischen, den Fotos verbreiten, zum Kern der Sache vorzustoßen.

Was ist heute notwendig, um den visuellen Schleier zu lüften, der sich über die Verhältnisse legt? Da er selbst schon weitgehend aus Bildmontagen besteht, müsste der Schnitt, der sie auseinander nimmt, damit sie in aufklärender Absicht neu zusammengesetzt werden können, sezierend sein, Teil einer Dekonstruktion. Die bloße satirische Demontage oder das Umfunktionieren von fotografischen Vor-Bildern reichen kaum noch aus. Das Verfahren des Montierens selbst muss für die Betrachter durchschaubar gemacht werden, damit sie etwas über die Techniken lernen, mit denen sie alltäglich manipuliert werden sollen.

In dieser Situation sind assoziationsoffenere Verfahren, die sich eher an der Fotocollage als an der traditionellen politischen Fotomontage orientieren, vielleicht besser geeignet. Sie gehen spielerischer mit dem Bildmaterial um, verschmähen die surreale Pointe nicht, regen die Phantasietätigkeit der Betrachter an, verdecken nicht, wie sie gemacht sind und verfremden doch die Wirklichkeit bis zu ihrer Kenntlichkeit, wie es Ernst Bloch für das „Prinzip Montage“ formulierte.

Rudolph Bauers Arbeiten sind von dieser Art. Er montiert noch handwerklich, die Bruchkanten bleiben sichtbar, Glättung und Foto-Ähnlichkeit werden nicht angestrebt. Bauer bezieht Abbildungen von Gemälden und Grafiken mit ein, was seinen Bildmontagen eine weitere historische und ästhetische Tiefendimension verleiht. Da ist dann der Vergleich mit der hohlen Schönheit von Werbe- und Mode-Models, die er oft kontrastierend ins Bild setzt, besonders krass. Seine Themen sind die alten Themen der politischen Fotomontage: Oben und unten, die Verhältnisse der Klassen, der Krieg und seine Profiteure. Ein Schwerpunkt liegt auf der Militarisierung der Gesellschaft und der heute alles überziehenden, flächendeckenden Warenästhetik. Beides wird in eine spannungsreiche Beziehung gesetzt.

Auch andere Fotomonteure haben bei den bunten Bildern der Werbewelt angesetzt, um sie mit der häßlichen Realität kapitalistischer Verhältnisse zu konfrontieren – José Renau etwa in „Fata Morgana USA“ und, auf seine lapidare Weise, Klaus Staeck. Neu ist bei Rudolph Bauer, dass er dem „schönen Schein“ gewissermaßen ein Eigengewicht, ein Eigenrecht belässt bei aller ironischen Brechung oder polemischen Destruktion.

In dem vom Bremer Friedensforum herausgegebenen Ausstellungskatalog „‚Rüste-Wüste‘ – Militarismuskritische Bild-Montagen“ schreibt er – nicht nur – über seine Arbeiten: „Es werden sowohl Fragen aufgeworfen, als auch neue Perspektiven erschlossen. Bild-Montagen lassen die Welt auf andere Weise entstehen und andersartig – bis hin zur Uopie – sich entwickeln: Landschaften ebenso wie die Gesellschaft, Politisches ebenso wie Schönheit, Kunst ebenso wie Mythen, Geschichte ebenso wie Zukunft.“

Es gibt zwei Montagen von Rudolph Bauer, die das besonders sinnfällig machen. Auf ihnen sieht man, wie ein Panzer eingeklemmt ist zwischen dem Blumen-Ornament einer Tapete und der Hand eines Künstlers mit Malstift bzw. Gemälden des Leipziger Malers Bernhard Heisig – einem prominenten Vertreter der DDR-Kunst. Dazu wird im Katalog angemerkt, dass die Ornamentik oben und die Kunst unten so stark wirkten, „dass sie eigentlich nicht bezwungen werden können“. Ein frommer Wunsch? Eine Utopie? Zumindest eine Möglichkeit der Wahrnehmung solcher Bilder.

Die Wahrnehmung von Bildern hängt immer mit unseren Anschauungen von der Welt zusammen, sie ist subjektiv und unterschiedlich. Deshalb gibt es auch keine einzig gültige Interpretation von Bildern. Aber Bilder können unsere Anschauunngen von der Welt auch produktiv verunsichern, sie können zu neuen Erkenntnissen führen.

Zur „Bild-Montage als dialektischer Prozess“ schreibt Rudolph Bauer:

„Bild-Montagen intervenieren bzw. korrigieren und verändern das Bestehende, Faktische – teils kritisch, teils parodistisch, satirisch und karikaturhaft, teils auf heiter-spielerische Art, in ironischer Verkehrung. Sie ziehen in Zweifel und fordern dazu heraus, das, was existiert, nicht unwidersprochen hinzunehmen. Sie provozieren und nehmen Stellung. Bild-Montagen bringen die Wirklichkeit in Bewegung. Sie zeigen sie als form-und gestaltbar, veränderbar. Sie lassen uns hoffen: Das Gewohnte, Regelhafte und Gewöhnliche wird dialektisch in Frage gestellt und erschüttert, anders eingeordnet, in einen nicht erwarteten, überraschenden Zusammenhang gebracht. Auf diese Weise erweitern Bild- Montagen das Feld menschlicher Wahrnehmung und Erkenntnis. Es entstehen andere Bezüge, andere Wertungen, ein anderer Kosmos.“